Mein Weg zum singend Heilen (als professionelle Sängerin)
Mehr als 10 Jahre habe ich als Sängerin, Gesangslehrerin und Chorleiterin mit dem Ziel gearbeitet, Menschen dabei zu helfen, Singen zu lernen oder ihre Gesangstechnik zu verbessern. Dass im Singen immer auch das persönlichste mitschwingt, die Psyche im Hintergrund mitarbeitet, war mir durch meinen eigenen Gesangsunterricht bei meiner Lehrerin Astrid Kaitinnis an der Universität Hildesheim bewusst geworden. Sie vermittelte mir das grundlegende Verständnis dafür, dass Singen, auch wenn man gerade an der Stimme als Instrument arbeitet, immer ganzheitlich ist, unabhängig davon, ob man es anspricht oder nicht. Gesangstunden habe ich damals gerne mit meinen ersten Meditationserfahrungen verglichen; Wahrnehmung und Denken waren für 45 Minuten nur auf das Lauschen des eigenen Tones oder auf das Empfinden feinster Muskeltätigkeiten fokussiert. Am Ende einer Unterrichtsstunde war ich oft in einer gelösteren und entspannteren Stimmung als zuvor.
Zum Abschluss meines Studiums "Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis" führten meine intensiven persönlichen Erfahrungen schliesslich dazu, dass ich meine Diplomarbeit über das Thema "Der Dialog zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein auf dem Weg der geführten Stimmentfaltung" schrieb.
Das war 2001 und 2003 war ich dann nach einem Umweg über eine unglücklich machende Berufserfahrung soweit, mich als Gesangslehrerin, Chorleiterin und Sängerin selbstständig zu machen. Ich merkte schnell, dass ich ein "Händchen" dafür habe, andere zu leiten, ihnen zu vermitteln, wie sie noch mehr Freude am Singen haben können, wie sie ihr Singen verbessern können. Dennoch stellte mein Verstand gesangtechnisches Wissen und das Erreichen von Klangidealen über Intuition und Spontanität und ich dachte, ich müsste mehr wissen und können, um wirklich gut zu sein, in dem, was ich tue.
2008 entschied ich mich dementsprechend dazu, meine gesangtechnischen Fähigkeiten am Complete Vocal Institute in Kopenhagen zu erweitern, wo ich drei Jahre als Sängerin und Gesangslehrerin in der Complete Vocal Technique unterrichtet wurde. Es war eine grossartige und arbeitsintensive Zeit. Mein Selbstbewusstsein als Sängerin und Lehrerin wuchs durch das Know-how einer klar strukturierten und in ihrer körperlichen Anwendung konkreten Gesangstechnik und ich möchte diese Zeit, in der ich gerade auch zwischenmenschlich reiche Erfahrungen machen durfte, nicht missen. 2011 erhielt ich meine Autorisation und ich war glücklich und gleichzeitig kräftemäßig völlig am Ende. Warum? Zum einen war ich am Ende, weil ich das Geld für die Ausbildung und das ständige Reisen nach Kopenhagen durch zusätzliche Jobs verdienen musste, zum anderen, weil ich dem Ruf meines Intellekts gefolgt war und den Ruf meines Herzens noch nicht gehört hatte.
Im Sommer 2011 gönnte ich mir auf Empfehlung aus meinem Freundeskreis hin die Teilnahme an der Sommerwoche des "Heilsamen Singens" bei den Musikern und Musiktherapeuten Karl Adamek und Carina Eckes. Das Erlebnis war tiefgreifend. Nach einer Woche mit dreißig anderen Teilnehmern zusammen im Kreis sitzend und singend und zwischendurch alleine stundenlang singend durch den Wald wandernd, lernte ich zum ersten Mal in meinem Leben mich selbst wirklich kennen. Ich wusste, wer ich war und ich war es. Es herrschte zum ersten Mal vollkommener Frieden in mir und ich konnte klar meinen Weg und meine Beweggründe erkennen. Was für eine Erfahrung!
Das intensive, gemeinsame Singen eingängiger Melodien und Leben reflektierender Texte; in einem Raum voll Offenheit, Vertrauen und Liebe; das war für mich als Mensch wie auch als professionelle Sängerin und Gesangslehrerin eine Offenbarung. Hier konnte ich erfahren, wie mich das einfache Singen abseits von Klangidealen und Gesangstechnik zutiefst berührte und bewegte. Ich weinte viel und ich weinte laut und ich konnte am Anfang noch nicht sagen, woher das kam.
Erinnerungen, Bilder, Worte, Verständnis, Erkenntnis und Begreifen: All das kam erst, wenn die erstarrten, tiefgefrorenen Emotionen alter Wunden wieder fühlbar wurden und im stimmlichen Ausdruck entlassen waren. Ich erlebte durchaus auch den eigenen, inneren Widerstand gegen dieses Öffnen der Box der Pandora. Doch ich wusste intuitiv, dass mir hier eine Chance der wirklichen Wandlung geboten wird. Eine Chance, alte Wunden zu heilen, auch wenn ich noch gar nicht alles sehen konnte, was mich da an altem Schmerz blind machte für mein wirkliches Sein.
Ich bin zutiefst dankbar für all die Wandlungen, die ich seit dem auf vielen weiteren Wochenenden und Sommerwochen des "Heilsamen Singens" ermöglichen konnte. Immer, wenn ich durch einen Prozess durchgegangen war, erlebte ich zu Hause im Alltag, dass sich wieder ein neuer Lebensraum geöffnet hatte: Tiefere zwischenmenschliche Kontakte, grössere Lebensfreude und -intensität, ein liebevolleres Selbstverständnis und die Fähigkeit, andere noch besser zu erreichen und zu verstehen. Für mich echte Wunder!
Und heute mit 48 Jahren verstehe ich, dass meine eigene Furchtlosigkeit vor stimmlichen und körperlichem Ausdruck tief empfundener Emotionen zusammen mit meiner intuitiven Ader und Spielfreude anderen dabei helfen kann, selber in den furchtlosen Kontakt mit ihrer Stimme und ihren Emotionen kommen zu können. Ich möchte dazu beitragen, dass wir wieder frei werden, uns selbst in Liebe begegnen zu können. Mein Heilmittel dafür ist die Stimme. Meine und die eines jeden Menschen; ob er oder sie sich als singend erfährt oder nicht. Gerade diejenigen, die den Kontakt zu ihrer Stimme verloren haben, die unter Depressionen leiden, grosse Trauer erfahren, die den Halt verloren haben und die ausgebrannt sind, möchte ich vermitteln, wie ihre eigene Stimme ihnen wieder Trost, Energie, Lebensmut und Kraft schenken kann.